Kultur-Orte entlang der Emscher werden geschaffen
zur Bündelung der unterschiedlichen sozialen
und kulturellen Energien
Idee und Konzept: Dr. Arnold Voss
Bearbeitung: K.-H. Blomann, Prof. Dr. K. Liebsch, R. Schumacher, Dr. A. Voss
Vorbemerkung:
In den nächsten zwei Jahrzehnten erfolgt in dem Projekt „Emscher-Umbau“ die (Rück-)Verwandlung eines der größten Abwassersysteme der Welt in eine Flusslandschaft. Der Lauf der Emscher soll im Zuge dessen zu einem integrierten und attraktiven Bestandteil der umliegenden Städte und Landschaften werden. Angestrebt ist, durch die umfassende naturräumliche und technische Umgestaltung der Emscher die Lebensbedingungen im Emschertal so zu verbessern, dass Anwohnerinnen und Anwohner der Region verhaftet bleiben und sie wertschätzen.
Dass der bevorstehende Wandel in der Emscherzone nicht allein ein räumlich-technisches Projekt darstellt, sondern auch sozial und kulturell gestaltet werden muss, ist die Grundüberzeugung der hier vorgestellten Projektidee Emscher-Pfad der Kulturen.
Der Emscher-Pfad der Kulturen zielt darauf ab, in Zusammenarbeit mit regionalen Einrichtungen, ortsansässigen, ortskundigen und interessierten Personen Möglichkeiten zu schaffen, die Region wie auch die bevorstehenden und die bereits realisierten Veränderungen kulturell-ästhetisch zu thematisieren. Dafür sollen entlang der Emscher Kultur-Orte geschaffen werden, an denen die regionale Bevölkerung aktiv werden, sich ausdrücken und ihre Sicht auf die Region zum Thema machen kann.
Drei kulturelle und soziale Besonderheiten der Region sollen beim Emscher-Pfad der Kulturen sichtbar und erlebbar gemacht werden:
Absicht ist es, entlang der Emscher verschiedene „Stationen“ zu schaffen, an denen die kulturelle Seite des räumlichen und technischen Wandels in der Emscherzone thematisiert wird. Die „Stationen“ werden in Form von größeren und kleinen Gärten gestaltet und sind zugleich auch Orte künstlerischer Intervention und kultureller Praxis entlang der Emscher. Die „Stationen“ stellen Raum für Installationen, Performances, Objekte, Konzerte und Diskussionsveranstaltungen zur Verfügung. Zudem bieten sie verschiedenen Bevölkerungsgruppen Gelegenheit, ihre Vorstellungen und Traditionen von Landschafts- und Gartenkunst darzustellen.
Dabei macht das Vorhaben Emscher-Pfad der Kulturen seinen gesellschafts- und kulturpolitischen Kontext immer mit zum Thema: Globalisierung und Europäisierung, Fragen nach der Rolle von Kultur und Kunst im Prozess gesellschaftlicher Modernisierung wie auch Fragen zur Teilhabe und Mitbestimmung durch die Bevölkerung sind thematische und gestalterische Bestandteile der Realisierung einer jeden geplanten „Station“ entlang des Emscher-Pfads der Kulturen.
In dem vorliegenden Konzeptpapier werden zunächst übergreifende Leitlinien zur Ausgestaltung des Emscher-Pfads der Kulturen skizziert und anschließend Realisierungs- und Gestaltungsmöglichkeiten der Projektidee beschrieben.
1. Einwanderung und Interkulturalität
Die Migration, ihre Probleme und ihre Chancen sind für ganz Europa ein wichtiges Thema.(1) Auch entlang der Emscher haben sich auf einer Strecke von gut achtzig Kilometern durch einen der größten Ballungsräume Europas in den letzten vierzig Jahren viele Menschen verschiedener Herkunft niedergelassen. Die Region war lange Zeit von Zuwanderung bestimmt, muss sich heute aber, nach dem Rückzug von Stahlindustrie und Bergbau, im Rahmen einer allgemeinen Konkurrenz der Standorte als Lebensraum, als Wirtschaftsraum und als Kulturraum neu behaupten.(2) Dadurch wird die Frage aufgeworfen, welche Qualität eine Region bieten muss, um einer Abwanderung von Einwohnern entgegen zu wirken. Welche Bildungs-, Freizeit- und Tourismusangebote werden als attraktiv angesehen und wie werden Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Region eingeschätzt?
Die gegenwärtige regionale Kultur und Geschichte der Emscherregion ist eine Geschichte der Migration und eine Kultur der Vielheit. Geschichte und Kultur thematisieren das Hin- und Herpendeln zwischen Weggehen und Ankommen, transportieren Spuren des oft unfreiwilligen Verlassens der alten Heimat, des mentalen und sozialen Festhaltens an Traditionen, die vom Ort der Herkunft her bestimmt sind, zeigen aber auch die Aneignung der Strukturen des neuen Aufenthaltsorts. In der Vergangenheit und der Gegenwart der Region hat sich das Ankommen auf vielerlei Weise realisiert und sich in unterschiedlichen Formen des Einlassens und der Verwurzelung gezeigt.
Erst aber mit einer Bleibeperspektive wird auch die Zukunft als Zeithorizont sichtbar. Perspektiven des Bleibens sind zudem davon abhängig, wie stark die ökonomische und soziale Lage als attraktiv und sicher angesehen wird. Das „Zukunftsprojekt Emscher-Umbau“ könnte dem subjektiven Bleibenwollen eine objektive Basis geben, eine neue Integrationsperspektive eröffnen, wenn es gelänge ein Denken zu stärken, welches den Umbau der Emscher als ein gemeinsames Projekt für eine gemeinsame Zukunft begreift.
Die Verklammerung des Bleiben-Wollens mit der Zukunftsperspektive bietet den Rahmen für einen ernst gemeinten und sachbezogenen interkulturellen Dialog. Die konkrete Frage hieße dabei: Was bedeutet der Emscher-Umbau für uns gemeinsam?
Zu den regionalen Charakteristika, die der Emscher-Pfad der Kulturen künstlerisch zu bearbeiten sucht, gehört deshalb zentral, dass das Emschertal seit seiner industriellen Besiedlung eine Vielzahl unterschiedlicher ethnischer und religiöser Bevölkerungsgruppen aufgenommen hat. Als Effekt von Globalisierung und Transnationalität bringt Migration ihrerseits die Vervielfältigung der Kulturen und kultureller Ausdrucksformen und Facetten in der Einwanderungsregion mit sich.(3) Eine am Emscherraum orientierte Kunst sollte deshalb Inter- und Multikulturalität berücksichtigen und den Dialog der Kulturen stärken.